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Baukis

Geschrieben um 15:45 am 09.05.2014 | Zitat | Editieren | Löschen
Hannes
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Prof Gumby
Beiträge: 596

Ich habe mal einige Jahre in einem Tiecksweg, Ecke Schlegelsweg gewohnt. Zum Fan hat mich das trotzdem nicht gemacht. Und so möchte ich an ein paar Bemerkungen Franks anknüpfen. Wohl wissend, dass ich jenem Frank, als er sein eigenes Spiel schrieb, dazu riet, die romantische Verklärung seiner Geschichte inhaltlich und sprachlich ruhig noch weiter auf die Spitze zu treiben.

Frank:

[Sprache] So kraftvoll und bildgewaltig sie zunächst auch wirkte – schon bald empfand ich viele Wendungen als manieriert und gewollt. […] Das Resultat sind schwer lesbare, bedeutungsschwangere – nicht immer bedeutungsvolle – sprachliche Kunststücke, die ein Vertiefen in die ergreifende Geschichte eher behindern als fördern.

Andererseits schreibt Mikawa, offenbar hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Frust:

Mikawa:

Ein Prinzip, das ich immer als sehr positiv empfinde, der Spieler muss sich die verfügbaren Gegenstände erst "erspielen", indem er im Meer der wogenden Worte langsam herausfiltert, was denn an einem Ort überhaupt referenzierbar ist, oder eben wichtige Gegenstände erst auf den zweiten Blick erkennt. […] Die sehr langen Texte bremsen den Spielfluss ernorm und man muss sich regelrecht zwingen, alles bis in kleinste Detail zu durchforsten, sonst passiert es allzuleicht, einen wichtigen Gegenstand oder einen Ausgang zu übersehen. Die letzte Szene ist sehr mühsam, da ich keinen blassen Schimmer habe, was ich tun muss.

Auch wenn die finale Bewertung (zum Glück!) besser ausfiel als von mir in der Testphase befürchtet, spiegelt sich das, was mir auch im Kopf herumschwirrte in den Äußerungen schon wieder: Die Frage, wie sehr man das Gleichgewicht zwischen Spielbarkeit und Sprachlawinen dehnen kann.

Die Welt ist von triefender Symbolik je nach subjektiver Interpretation an der oder jenseits der Grenze des Überladenen. Mehrere Bildschirme umfassende Texte werden auf den Spieler abgeladen, häufig ohne erkennbaren kausalen Zusammenhang mit dem Getanen oder Versuchten (siehe Martins spannenden Vortrag letzten Sommer in München). Ziele oder Hinweise, was überhaupt vom Spieler erwartet wird, gibt es praktisch überhaupt nicht. Was tatsächlich interaktionsfähige Objekte bezeichnet und was nur eine weitere Metapher ist, ist schwierig erkennbar – wobei gleichzeitig nicht so weit gegangen wird, die bildlichen Metaphern dann zumindest allesamt als Objekte zu implementieren (vgl. PataNoir).

Es scheint mir, als ob wir in den letzten Jahren verstärkt erzählerische Experimente erleben, was zu begrüßen ist. Darüber finden auch immer mal wieder interessante Diskussionen hier und an anderen Stellen statt. Auf mich wirkt es aber auch so, als träten dabei die Tugenden, die man allgemein als Spieldesign bezeichnet, immer weiter in den Hintergrund.

Zumindest kann ich mich an keine Diskussion (wiederum: hier oder an anderer Stelle) erinnern, in der mal über Interaktionskonzepte gesprochen wurde. In der ein spielerischer roter Faden in einem bestimmten oder geplanten Spiel gesucht oder konstruiert wurde. Ein solcher hätte in Baukis beispielsweise sein können, dass man im Sinne der anfangs gefundenen Maske immer weitere Objekte, die jeweils Charakterfacetten repräsentieren („Mut“, „Wille“ usw.) findet und durch deren Einsatz schließlich die verschiedenen (ebenfalls symbolischen) inneren Hindernisse überwindet. Ein roter Faden, ein spielerisches Konzept – dann könnten meines Erachtens auch die Texte lang sein, da man zumindest wüsste, wonach man überhaupt suchen, auf welche Schlüsselworte man interaktiv reagieren muss.

Ich bitte um Diskussion – zu diesen Punkten oder was auch immer euch einfällt!

Geschrieben um 08:19 am 10.05.2014 | Zitat | Editieren | Löschen
proc
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Retired Gumby
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Das ist interessant, gerade in der Testphase hatte ich den gegenteiligen Eindruck, da kann ein klasse Spiel draus werden. Man merkt dem Spiel vor allem hintenraus an, dass es von einer gewisse Torschlusspanik vor Abgabe getrieben war. Intro und Mittelteil finde ich in vielen Ansätzen gut gelungen, ein Rätselkomplex ist für meinen Geschmack sogar herausragend in die Geschichte integriert.

Das Rätsel um den Kringel am Baum und die im Brunnen herabzulassende Blutmaske als einzig möglicher Ausgang aus einer Parallelwelt aus dem Laub und dem Schneeraum. Der Nähe zwischen Leben und Tod zieht sich durch die gesamte Story, besungen wird z.B. beständig der Lebenswille, während die Umgebung tendenziell nekrophil wirkt.

Keine Rede, da ist spielerisch weitaus mehr möglich, die über weite Strecken mehr als Trauergesang denn Epos empfundene Erzählweise schreckt spielerisch ab und die Verlorenheit in einer surreal-bizarr anmutenden Spielewelt entbehrt fürs Erste jeglicher spielerischen Logik. Es dürfte kein Geheimnis sein, dass sich diese Geschichte und damit auch deren Logik ganz wesentlich erzählerisch über einige zentrale Chiffren wie der Löwenmaske ergründen und das ihr angedachte Publikum musikalisch finden könnte.

Und genau da sehe ich eine Grenze von Interaktionskonzepten: Da ist eine Geschichte wie Baukis, deren tiefere "Interaktivierung" nicht nur eine konzeptionelle Mammutaufgabe darstellen würde, sondern die durch die Verspieltheit mit einzelnen Chiffren erzählerisch an Zugkraft verlieren würde. Ich will nun nicht behaupten, dass Baukis da einen optimalen Weg gefunden hat, aber den präsentierten finde ich für eine derart schwierig zu erzählende Geschichte unter Berücksichtigung eines unsichtbaren GP-Mindeststandards schon gut gemacht. Ich will mich jetzt auf keinen Fall in Interpretationen verhaken, sobald das Wachs genommen oder geformt werden kann, ist dessen Symbolik eben hinfällig. Das Interaktionskonzept besteht daher vor allem in den kryptischen Standardmeldungen, die szenisch sehr stark variieren und punktuell ihre Kryptik zu bedienen versuchen. Erstmal kein schlechter Ansatz, wenn auch ausbaufähig.

Die Frage speziell in diesem Spiel ist vielmehr, was kann man Spielern an Kryptik zumuten und was will uns der Dichter damit sagen? Diese Gedanken habe ich mir schonmal u.a. bei Porpentine-Twines gemacht, die in einigen Punkten mit Baukis vergleichbar sind: Ein erzähltes Ich versucht mit Spielern zu reden, nur verstehen sie es nicht. Selbst zwei-, dreimal gespielt wirken die Bilder ohne Sinn, man vermag sie aber zu hören; vier-, fünfmal beginnt sich der Gesang mit den Bildern hypnotisch zu Assoziationen zu vermischen. Das ist der springende Punkt: Wieso soll ein Autor gängigen Konzipierungsparadigmen folgen, wenn sie dem, was sie ausdrücken wollen, in keiner Weise gerecht werden? Oder von der Seite der Minderheit her formuliert: Wenn es Leute gibt, denen eine derart rhythmische "Spieldichtung" etwas gibt, warum soll sich der Autor um alle anderen scheren? Und das führt letztlich zur Frage: Wie wollen wir den Umgang mit einem Medium verwissenschaftlichen? Sollen wir Drehbücher zum Vorbild nehmen? Theaterskripte? Absatzlängen? Aktionsradien? Ich bin mir nicht sicher, ob eingeübte Erfolgskonzepte bei Spielen, die oft begangene Wege verlassen, als Vergleich dienlich sein können. Das zeigt übrigens ganz besonders das Movie-Business.

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Geschrieben um 13:42 am 19.04.2015 | Zitat | Editieren | Löschen
Midas
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Pupil Gumby
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Ich habe endlich, was ich schon zur Veröffentlichung tun wollte, ein Geleitwort zu Baukis verfasst. Man kann es hier lesen:

https://dreischuetz.wordpress.com/werk/spiel/

Geschrieben um 01:24 am 20.04.2015 | Zitat | Editieren | Löschen
proc
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Retired Gumby
Beiträge: 727

Also Schopenhauer und Nietzsche ist darin unverkennbar, aber auch eine surreale Entwicklung zwischen Geburt und Tod. Es war für mich die inhaltsreichste Geschichte seit Jahrzehnten. Mich hat die Geschichte intensiv berührt und sie hat für mich schon das Potential einer Linie zwischen Literatur und IF, wie ich sie im englischen Sprachraum nicht kenne. Alle Achtung, da kann zwar spielerisch noch viel gefeilt werden, aber die erzählerische Richtung ist schon grandios. Mehr davon, ich könnte süchtig werden!

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