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Interview mit Joel Berez

Geschrieben um 20:34 am 08.07.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
Hannes
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Prof Gumby
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https://archive.org/details/the-famous-computer-cafe-1985-07-12_Joel_Berez

Aus der Radiosendung "The Famous Computer Cafe" von 1985. Joel Berez war seinerzeit Präsident von Infocom. Lange nicht so oft gehört wie andere Leute aus der Firma. Sein Interview beginnt bei 7:25.

Er vertritt unter anderem die sehr interessante These, Parsereingaben in "natürlichsprachigem Englisch" seien besonders einsteigerfreundlich. Er zieht die Parallele, man müsse ja auch kein Autokonstrukteur sein, um Auto fahren zu können. Deshalb mache Infocom mit seinem Parser die Spielewelt für Nicht-Programmierer zugänglich.

Wie sich die Wahrnehmung doch ändert... ;)

Geschrieben um 00:21 am 05.08.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
proc
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Jetzt kam ich auch mal dazu, mir den Beitrag anzuhören. Es ging es nicht so sehr darum, dass natürlichsprachiges Englisch besonders einsteigerfreundlich sei, sondern mehr um die Angleichung der Maschine an den Menschen, der mit ihr möglichst alltagstauglich umgehen können soll. Das war damals die Utopie der Homecomputerbrance mit einer agilen Clubszene, Berez formuliert ihr Credo aus den 70ern quasi buchstäblich: “You really don't have to understand how to program the computer yourself to be able to use it.” [10'24] Das sollte sich für Infocom mit der weiteren technischen Entwicklung in tragischer Weise bewahrheiten.

Ich möchte ein paar Aussagen aus dieser zeitgeschichtlichen Quelle herausnehmen und auch mit Blick auf heute kommentieren:

1. “Zork was created by people who like to play games and also like to read books. They read all kinds of things.” [8'40]

In der Tat ist Zork inspiriert von Literatur, Comics und Film – Blank war nach meiner Erinnerung Mitorganisator der wöchentlichen Studenten-Filmabende am MIT. Es gibt Anspielungen und Zork selbst wird bis heute in Literatur, TV und anderen Games zitiert. Wer allerdings brillante Literatur sucht, ist bei Crowthers Adventure besser aufgehoben, ein bislang unerreichtes Meisterwerk der verdichteten Sprache und nicht weniger zorkisch.

2. “Our people always felt that we could do things better than the next guy. And we loved to play [Crowther’s] Adventure, but thought that we could go beyond that.” [09'15]

Das kommt mir mit den vielen deutschen Engines bekannt vor;)

3. “Well, we call the category now interactive fiction instead of adventure games, as it has been called, because we consider interactive fiction more descriptive.” [11'11]

Ich konnte bis heute den Ursprung des Begriffs “interactive fiction” für Computer-Textspiele nicht herausfinden. Bis zu Nick Montforts “Twisty Little Passages” gebührte er Infocom, seitdem soll es zuvor schon Robert Lafore 1979 gewesen sein, Systemanalytiker am LBNL (Berkeley) und Spieleprogrammierer für Adventure International auf dem TRS-80. Das wird seitdem überall im Web zitiert und ist auch ohne Quellenangabe zur Wahrheit geworden (prominent z.B. in [1]). Breiter bekannt wurde der Begriff dann in der Tat durch Infocom, die ihre Spiele mindestens ab 1983 konsequent so benannten. Auch das Zitat deutet schon darauf hin, dass es sich damals um einen Marketingbegriff handelte, um sich von den aufkommenden Grafikspielen intellektuell abzuheben, über die Berez an anderer Stelle im Arcade-Vergleich meinte: “You don't put much thinking into it and as a result, you tend to get bored with it rather quickly. Interactive fiction requires you to get much more involved in the story.” [21'10]

4. “Oh, we have people who've been spending years trying to solve Zork. [...] In fact, a very good way to play the game is if you really get stuck, put it away for a week.” [13'55]

Hardcore. Habe aber auch zwei Jahre mit Portal 2 verbracht;)

5. “We’ve avoided calling the games educational because we haven't deliberately put any specific educational objectives into them, but I will tell you that they are used in some schools and by parents because they tend to enhance your problem-solving ability. And for younger people who may be having trouble reading, it’s a much more interesting way to learn how to read than just being taught.” [15'13]

Ein gerne vorgebrachtes Argument für [2] und gegen Games [3], wobei gerne unter den Tisch gekehrt wird, dass vor allem die gelebte Realität erzieht. Im Fremdsprachenunterricht punktet das Argument bisweilen [4]. In meiner Jugend waren Comics verpönt weil sie die Jugend verdummen. Mein Opa (noch unter Wilhelm sozialisiert, RIP) sprach stets von Volksverdummung, wenn er den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gesehen hatte. So wiederholt sich jegliche Geschichte und die Brahmanen sind mit ihrem unendlichen Rad der Zeit am nächsten dran.

6. “[The Software Publishers Association is] an association of the people who create and market the software. And there are all kinds of different things that we do in that area, such as educational. We work on legislation. [...] One of the major problems facing the industry is software piracy”. [18'35]

Infocom hat sich sehr früh der 1984 gegründeten SPA angeschlossen, aus der die mächtige SIIA hervorgegangen ist, die sich dem Kampf gegen die Softwarepiraterie etwas unethisch verschrieben hatte und in Kampagnen wie z.B. “Don't Copy That Floppy” 1992 verhedderte, in der das Urheberrecht etwas verdreht und jegliches Kopieren kriminalisiert wurde [5]. Auf dem Höhepunkt der Infocom-Umsätze Jagd auf Computerclubs mit 14-Jährigen Mitgliedern zu machen kam seinerzeit nicht gut an, aber das machte ja die SPA und nicht Infocom direkt. Meine C64-Clubs in den 80ern in einer ländlich geprägten Region in Süddeutschland waren übrigens zu 80% Tauschclubs von raubkopierten Disketten, in den restlichen 20% trank man Fanta und diskutierte über neue Kopiermethoden weil es ja immer wieder neuen Kopierschutz gab. Das ist auch ein Teil der Kultur.

6. “We’ve found that although we have no pictures, no graphics at all in our stories, that actually enhances the experience because your imagination is better than the kinds of graphics you can get on a computer screen.” [21'45]

Das ist Werbesprech der lange laufenden Kampagne mit dem Gehirn als größte Grafikengine ever, oder wie es in einer typischen Infocom-Anzeige im ANALOG magazine vom April/May 1983 heißt: “There’s never been a computer built by man that could handle the images we produce.” [6].

Mal wieder interessante Einblicke in die 80er in der Hoffnung, die auch die Nachgeborenen können damit etwas anfangen. Ich kann nur empfehlen, die halbe Stunde mal zu investieren, das ist mal eine gesunde zeithistorische Abwechslung zur babylonischen Podcast-Verwirrung. So war das halt und die Geschichte wiederholt sich heute auf anderer Ebene wie ich hier und da feststellen musste, ohne es immer explizit zu benennen.

[1] https://www.filfre.net/2011/09/robert-lafores-interactive-fiction/

[2] https://www.spiegel.de/netzwelt/web/us-army-rekrutenfang-per-egoshooter-a-197361.html

[3] https://www.aerzteblatt.de/archiv/55193/Computerspiele-und-Amoklauf-Die-Verzweiflung-hinter-der-Wut

[4] https://www.klett.de/inhalt/digitalisierung-im-englischunterricht/literaturunterricht-allgemein/11945

[5] https://www.techdirt.com/2009/07/07/siias-sequel-to-dont-copy-that-floppy-lies-about-criminality-of-copying/

[6] https://www.ifarchive.org/if-archive/infocom/adverts/ad1.png

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Geschrieben um 13:48 am 06.08.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
Hannes
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Ich habe auch noch einige andere dieser Sendungen gehört. Konzept der "Interviews" scheint zu sein, die Leute einfach reden zu lassen. Die Interviewer setzen weder Themen, noch haken sie irgendwo nach. Aber rückblickend ist das natürlich trotzdem interessant, wie du schreibst. Denn es ist ja eben eine Mischung aus dem, wie Menschen seinerzeit wirklich Dinge sahen, aber auch, wie sie sich darstellen wollten. Völlig ungefiltert.

Was mich heute an den meisten "Podcasts" stört ist, dass da zwei Stunden lang eigentlich nur das wiedergegeben wird, was ich in zehn Minuten selbst bei Wikipedia nachlesen kann. Sofern sich überhaupt mal Primärquellen bedient wird, werden die auch nur unkritisch nachgeplappert. Einordnung, Bewertung findet nicht statt. So ist es halt, wenn sich jede/r einbilden kann, JournalistIn zu spielen.

Und, ja, ich habe Deadline erst zehn Jahre nach meinem Erstkontakt gelöst. Heute ist sowas undenkbar. Anscheinend triviale Erkenntnis. Aber auch ein Beispiel für historische und gesellschaftkulturelle Einordnung, die heute leider nicht mehr stattfindet.

Geschrieben um 17:48 am 07.08.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
proc
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Retired Gumby
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Ich fand das Interview für ein freies Plauderformat im "Famous Computer Cafe" beachtlich strukturiert. Es ging um die Infocom-Erfolgsbasis Zork, um die damals noch revolutionäre Idee des "personal computer", um die Vorzüge von IF im Zeitalter der Grafikspiele freilich durch Berez' Brille, wofür beachtlicherweise damals schon ein hoher Wert für die Schule herbeiargumentiert wurde. Der Interviewer versucht dabei immer wieder, Standpunkte zu zeitgenössischen Kontroversen herauszukitzeln. Da war ansatzweise Apple-IBM enthalten, der Einstieg in den fernöstlichen Markt im seinerzeit schon abflauenden Atari-Crash, wodurch dann freilich die Software-Piraterie mit Berez' beachtlichem Lobbyismus-Statement "we work on legislation" ein Thema wurde. Und den Schlusspunkt setzt dann doch noch die Grafikkarte, wobei Marktführer Arcade freilich schlecht wegkommt. Im Jahr zuvor waren übrigens Doug Adams and Steve Meretzky zu Gast, das Interview ist zwar nicht ganz so spannend weil es um galaktische Anhalter ging, aber sehr unterhaltsam [1].

Zu den Podcasts habe ich eine bislang ungekannte Zuneigung entwickelt, ich erwische mich fast nächtlich dabei. Mit der Gleichschaltung der Mainstream-Medien seit Merkel-Zeiten gibt es wenig Alternativen, was wären die Naturwissenschaften ohne Sabine Hossenfelder, die Berliner Provinzpolitik ohne Marcel Joppa und Benjamin Gollme, der einstimmige Wikipediachor ohne quellenkundliche Zwischenrufe eines Markus Fiedler und Dirk Pohlmann uvm., lediglich bei Computer- und Gaming-Podcasts habe ich den Überblick verloren und höre und schaue mir lieber Oldies wie die Computer Chronicles [2] oder jetzt eben das Famous Computer Café an. Es gibt so irrsinnig viele Podcasts, die sich dem modischen Haltungsjournalismus verweigern und an die Quellen rangehen dass man gar nicht mehr weiß, wo anfangen. Kleine Empfehlung für Hobbychemiker übrigens "Alles Chlor" vom GDCh-Jungchemikerforum [3], ich finde diese jungen Leute einfach Klasse. Bitte nennt doch gerne weitere aus Gaming, Wissenschaft und Gesellschaft, die sich anzuhören lohnen. Den Adventurepodcast von Falko Löffler wie neulich hier aufgeworfen kannte ich z.B. auch noch nicht [4].

Jetzt aber zurück zum Berez-Interview: kaum 40 Jahre her, kommt einem vieles so bekannt vor: Gute erziehende vs. schlechte charakterschädigende Spiele, das Oberlehrer-Generalthema Bildung vs. Verdummung überhaupt, kriminelle Raubkopierer gegen brave wirtschaftsliebende Käufer, wie schon in den 60ern mit den Comics oder in den 30ern mit dem Kampf gegen linke Flugblätter oder im Fin de Siècle gegen Naturalismus und Jugendstil usw. usf. vermutlich bis in die Steinzeithöhlen zurück. Das zeigt vor allem, wie sehr das Spiel im Allgemeinen und heute Computerspiele im Besonderen Ausdruck eines beständigen Kulturkampfes mit einigen immerwährenden Mustern sind. Im Moment werden in Europa Social Media und AI von den Alten und Mächtigen ausgebremst weil sie die Kontrolle zu verlieren fürchten, da bin ich sehr gespannt, was noch kommt. Und nach dem Untergang des Abendlandes während der Coronajahre bin ich aber erstmals wieder sehr zuversichtlich;)

[1] https://archive.org/details/the-famous-computer-cafe-1984-12-21_Douglas_Adams_and_Steve_Meretzky

[2] https://archive.org/details/computerchronicles

[3] https://podcast.jcf.io/

[4] https://adventurepodcast.de/

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Geschrieben um 19:35 am 08.08.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
Hannes
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Wirklich schwach fand ich die beiden Interviews mit Sid Meier und Jack Tramiel. Die beide hatte ich im Kopf, als ich sagte: Die Leute erzählen einfach, was sie wollen. Beides sind reine Marketingeinspieler.

Es gibt natürlich in jedem Medium gute Vertreter, selbst "Podcasts" (Unwort des Jahrtausends). Empfehlen kann ich:

  • The Literate Pixel Podcast (leider aktuell nicht aktiv): nimmt sich dem Spezialgebiet "Romane nach Computerspielen" an. Schön abseitiges, unbehandeltes Thema und die Bücher werden grundsätzlich ernstgenommen für das, was sie sind.
  • Bahnhofskino: Filme aller Zeiten besprochen mit guter Balance aus subjektiver Wertschätzung, Einordnung und Analyse.
  • Ein Filmarchiv (leider ebenfalls nicht mehr aktiv): ebenfalls Filme, mit sehr starkem Fokus auf formeller Analyse.
  • DOS Game Club: Kann ich nicht uneingeschränkt empfehlen. Für meinen Geschmack an sich im Mittel zu lang. Zu viel Wikipedia. Qualität der Folgen steht und fällt mit den jeweiligen Gästen und so kommen dann auch Perlen zu Stande. Was mir daran gefällt, ist das "gemeinsame" organisierte Spielen und abschließende Besprechen. So wie wir es hier vor zehn Jahren auch mal versucht haben Wer mich stottern hören möchte, kann gerne in Empire, Mechwarrior 2, Shadow of the Comet, Speedball 2 oder Raptor reinhören. Womit ich nicht behaupten möchte, dies seien die besten Episoden ;)
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Bearbeitet von Hannes um 19:23 am 10.08.2024
Geschrieben um 20:27 am 18.08.2024 | Zitat | Editieren | Löschen
Olaf
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Master Gumby
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Hannes:

Empfehlen kann ich:

Danke für die Tipps!

In den Bahnhofskino Podcast höre ich ziemlich oft und gerne rein. Das ging los, als ich mein erstes Inform Spiel geschrieben habe; "Wildcard Nucleus" ist am Schema der James Bond Filme orientiert und deshalb habe ich im Hintergrund die ganze Zeit deren Besprechungen gehört, um mich in Stimmung zu bringen. :D

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