Geschrieben um 12:30 am 07.10.2003 | Zitat | Editieren | Löschen | |
Mitglied Prof Gumby Beiträge: 634 | Kurz vor dem Wochenende wurde hier im Forum ein neues Textadventure von einem mir bislang unbekannten Autor vorgestellt: Terra Incognita von Rolf Lautenbach. Das war eine Überraschung. Natürlich habe ich das Spiel gespielt, hier einige Anmerkungen dazu: [Diese Anmerkungen enthalten Spoiler. Spielt das Spiel also bitte erst, bevor Ihr hier weiterlest. Das Spiel lässt sich zügig spielen, außerdem steht stets eine Hilfe-Funktion zur Verfügung. Außerdem wird etwas über Leather Goddesses verraten, allerdings nichts, was der IF-Aficionado nicht schon wusste.] Unter »Hintergrund« im Spiel liest man: »Terra Incognita entstand in erster Linie aus meinem Wunsch, einen eigenen deutschen Parser zu programmieren.« »Das heißt nichts Gutes«, dachte ich - was den Parser angeht allerdings ohne Grund - und tatsächlich fühlte ich mich bei Terra Incognita an mein eigenes Amulett erinnert: Die unwirkliche Welt, die etwas unzusammenhängende Geschichte und die grüne Farbe des Textes. Im Gegensatz zum Amulett wurde Rolfs Spiel allerdings getestet. Die Geschichte Hier im Forum schrieb Rolf Lautenbach: »Terra Incognita beginnt in der wirklichen Welt und führt den Spieler in ein verborgenes Land, in dem der schwarze Lord rücksichtslos seine Macht ausbaut.« Und unter »Hintergrund« heißt es: »Terra Incognita handelt von der Übermacht und der verdrängenden Wirkung der Technik, die der Lord als abstrakte Figur verkörpert und die in seinen Robotern sichtbar wird.« Hmm. Ich erfahre eigentlich nichts über den Lord, außer aus den begleitenden Texten. Im Spiel jedoch weiß ich nicht, mit wem ich es zu tun habe. Überhaupt fällt es mir schwer, mich für das Abenteuer zu motivieren. Der Spieler kommt nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause, findet seine Freundin und seinen Hund vor, durch das Fenster fallen sie letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Harmonie pur, schon fast zu viel Harmonie, wie in der Valensina-Werbung. In solch einer Situation möche ich eigentlich nur Jackett und Aktentasche in die Ecke werfen, mich aufs Sofa lümmeln, vielleicht eine Flasche Bier (oder das Weinglas) aus der Küche holen und und es mir gut gehen lassen. Gedanken an Abenteuer kommen da nicht auf. Ich, der Spieler an der Tastatur, weiß nur, dass es so nicht weitergeht, weil es mir der Autor des Spiels in der Ankündigung gesagt hat - aus einem Szenario mit soviel Harmonie, in dem sogar der Wein lieblich ist, möchte ich gerne fliehen - und, nun ja, weil ich ein Fantasy-Aenteuer spiele und keine Feierabend-Simulation. In einer Szene wird die fehlende Motivation besonders deutlich:
Doch! Ich bin müde, und von einer aufregenden Reise, die bevorsteht, merke ich nichts. Gut, ausruhen darf ich mich nicht, ich laufe also in meiner eigenen Wohnung herum, nehme nach alter Abentuerer-Manier alles mit, was sich findet und ordne jedem Gegenstand seine Aufgabe zu. Schließlich beginnt die Nase meines Hundes zu glühen, ich drücke drauf und - zapp! - gerate ich zwischen zwei Welten. Zwischen welche Welten? Aus dem Vorspann erfahre ich nichts über diese Welt, kein Vorzeichen. Nicht einmal Sina sagt mir "Heute benimmt sich Tara aber komisch", es gibt nichts Ungewöhnliches in der Wohnung. Wie viel besser wäre es, wenn Tara mit einem fremden Artefakt spielte, das der Spieler ihr abluchsen und dann dann öffnen kann, um so das Portal zur fremden Welt zu finden. Das fände ich als Spieler befriedigender, als einfach so von Zuhause weggerissen zu werden. OK, im Amulett ist der Einstieg in die fremde Welt auch nicht gerade eine erzählerische Glanzleistung. Aber das Spiel beginnt in der fremden Welt, der Spieler hat sofort eine Aufgabe: Die Welt erkunden und die Aufgabe auf dem Zettel lösen. In Leather Goddesses of Phobos beginnt der Spieler zwar in dieser Welt (in Upper Sandusky, um genau zu sein), aber er muss keine Rätsel lösen, um in die eigentliche Spielwelt zu gelangen. Der Wechsel ist abrupt und ebenfalls unmotiviert, aber er geschieht automatisch nach einigen Zügen, unabhängig von den Handlungen des Spielers. Und selbst für die kurze Zeit auf der Erde hat der Spieler ein Ziel vor Augen. (Wenn auch kein besonders ausgeklügeltes: Er muss sich für eine der beiden Toiletten entscheiden und so das Geschlecht seiner Spielfigur bestimmen.) Genau dieses Ziel fehlt mir hier. Aber auch nachher, in der Spielwelt, bleibt alle etwas vage: Was soll der Spieler dort? Er kommt an, wird gefangengenommen, muss sich befreien und kehrt in seine Welt zurück. Hmm. Bisschen wenig, oder? Aus dem »Hintergrund«: »Einige Tester bemerkten eine Parallele zur Unendlichen Geschichte.« In der Unendlichen Geschichte gerät Bastian in das Land Phantásien, weil er lernt, dass er über das Buch mit den Charakteren darin kommunizieren kann. Dieses Buch ist ein Artefakt aus der anderen Welt. (Ich hoffe nicht, dass diese Rolle in TI vom Hundekuchen Übernommen wird.) Und einmal in der fremden Welt angekommen, muss Bastian diese nach seinem Willen erschaffen, wobei er über sich und seine Wünsche lernt. In Terra Incognita gerät der Spieler durch Zufall in eine andere Welt, wird gefangen genommen, bricht aus und gelangt wieder in seine Welt zurück. Wieso gelangt er wieder zurück? Wer ist der Lord, von dem die Hilfetexte sprechen? Wieso wurde der Spieler in diese Welt geholt? Am Ende des Spiels hat der Spieler seine Pantoffel-Idylle wieder, die er die ganze Zeit hätte haben können, wenn er nur Taras Nase in Ruhe gelassen hätte. Die Rätsel Zuhause sind die Rätsel, wie ich bereits geschrieben habe, unmotiviert, aber dennoch leicht zu lösen, weil es nur wenige Objekte gibt, die man kombinieren muss. Das meiste funktioniert nach dem Schema give-X-to-Y. Eine Sache habe ich jedoch nicht sofort lösen können. Natürlich habe ich unter das Bett geschaut und als ich den Zettel gelesen habe, gedacht: OK, ein kleiner Gag des Autors, und habe den Zettel liegen gelassen. Ohne Zettel funktioniert der Teleoprt mit Taras Nase aber nicht. Warum? Weil der Autor es so will - der Zettel wird für ein späteres Rätsel benötigt, und der Autor möchte den Spieler nicht in eine unlösbare Situation bringen. Das ist schlechtes Rätsel-Design. Die Rätsel in der Welt des Lords sind dagegen besser, abwechsuungsreicher. Wie man aus der Wüste herauskommt, fand ich sehr gelungen. Aber obwohl dies ein Timing-Puzzle war, war es mir etwas zu statisch. Wie das ganze Spiel: Alles ist Reaktion, nichts ist Aktion. Keiner begrüßt mich, wenn ich heim komme, ich muss alles erst erfragen. Der Wächter steht stoisch herum, bis ich etwas mache. Um Änderungen der Windrichtung und der Lautstärke des Geräuschs wahrzunehmen, muss ich aktiv lauschen und schauen. Das Katzenwesen folgt mir, und macht nichts aus eigenem Antrieb. Aus dem »Hintergrund«: »Daneben beschreibt das Spiel die Entwicklung des Genres der Textadventures. Die Fragen an den Wächter nach der Pforte, dem Boden und dem Wächter zeigen die Unterschiede zwischen damals und heute.« Unsinn, genau das tut das Spiel eben nicht. Es ist ein »klassisches« Adventure wie die Schatzsuchen Zork und Guild of Thieves, nur dass es statt Messinglaternen Hundekuchen gibt. Gegen klassische Adventures habe ich nichts, aber mir stößt es etwas sauer auf, dass der Autor hier wesentlich mehr in seinem Werk sieht, als tatsächlich da ist. Der Parser Der Parser, um den die Geschichte herum geschrieben wurde, ist solide, und versteht alle gängigen Eingaben. Allerdings wird er auch niemals wirklich gefordert, es gibt nie etwas zu disambiguisieren (»Welche Tür meinst du? ...«), Adjektive sind nur optionales Beiwerk (und werden, genau wie die Artikel in allen Beugungen verstanden). Für längere Adventures fehlt ihm vielleicht etwas Flexibilität. Das unterstelle ich einfach einmal, denn im Executable sehe ich, dass die Textzeilen zur Nachfrage des Parsers (»Was willst du nehmen?«) und sogar zum Aufheben der Gegenstände (»Du nimmst den Besen«) alle explizit angegeben wurden. Überrascht hat mich, dass »nimm alles« gut funktioniert und dass ich Dinge auf den Tisch stellen konnte. Von der technischen Seite her überzeugt Terra Incognita also, jedoch wurde der technische Aspekt zu sehr betont. Die Karte ist eher eine Spielerei, als dass sie wirklich weiterhilft - die Szenen sind einfach zu klein, um einen Automapper zu benötigen. Die Hilfe-Funktion ist solide implementiert, aber immer viel zu schnell zur Hand. Fazit Terra Incognita ist ein solide implementiertes Spiel mit einem überzeugenden hausgemachten Parser, verhältnismäßig leichten Rätseln und einer vom Umfang her beschränkten Spielwelt. Die große Schwäche des Spiels liegt in der mangelnden Motivation, es zu spielen. Die vom Autor versprochene »in sich geschlossene Geschichte« zeigt sich zu keinem Zeitpunkt. Man hat den Eindruck, dass hier unzusammenhängende Rätsel zu einer Geschichte zusammengeflickt wurden. Dabei hat Terra Incognita durchaus Potenzial. Wenn man den Spielverlauf etwas überarbeitete, die Welten besser miteinander verknüpfte und den Lord als mächtigen Gegenspieler mehr in den Vordergrung rückte, könnte ein unterhaltsames Spiel dabei herauskommen. In der Schlusszene wird ein Nachfolger angedeutet. Ich wünsche mir, dass es einen Nachfolger gibt. Aber ich wünsche mir auch, dass dieser den Ansprüchen des Autors gerecht wird. |
Geschrieben um 18:30 am 08.10.2003 | Zitat | Editieren | Löschen | |
Mitglied Prof Gumby Beiträge: 404 | Ich stimme Deiner Rezension in vielen Teilen zu, allerdings finde ich die Story nicht so schlecht und beliebig, wie Du sie machst. Sicher könnte daran gearbeitet werden - ich hab mich auch erst gewundert, was ich überhaupt tun soll. Aber besonders der zweite Teil hat mich gut unterhalten, und soo lang ist der erste Teil ja nicht. Zitat:
Naja, hast Du Dir schonmal den Besen angesehen? Und den Zettel hielt ich keineswegs nur für einen Witz, sondern er erzeugte in mir durchaus ein Gefühl von "hier stimmt etwas nicht". |
Geschrieben um 22:46 am 08.10.2003 | Zitat | Editieren | Löschen | |
Mitglied Dr Gumby Beiträge: 275 | Martin:
»Daneben beschreibt das Spiel die Entwicklung des Genres der Textadventures. Die Fragen an den Wächter nach der Pforte, dem Boden und dem Wächter zeigen die Unterschiede zwischen damals und heute.« Unsinn, genau das tut das Spiel eben nicht. Ich denke nicht, dass der Hinweis im "Hintergrund" technisch gemeint ist, sondern dass er sich nur auf das bezieht, was der Wächter tatsächlich antwortet, wenn man ihn nach den angeführten Begriffen fragt. Hier soll vermutlich auch die eine Parallele zur "Unendlichen Geschichte" liegen, von der der Autor spricht: Aus welchen Gründen konnte das Nichts Phantásien beinahe zerstören? Dass man nach dem Gefängnisausbruch aus dieser Textadventure-Welt(?) sofort wieder entschwindet und sie samt dem Lord ihrem Schicksal überlässt, empfand ich als sehr unbefriedigend. Dem Bösen freie Bahn lassen und ab nach Hause, zurück zur Feierabendidylle? |
Geschrieben um 11:23 am 13.10.2003 | Zitat | Editieren | Löschen | |
Mitglied Prof Gumby Beiträge: 634 | Tanan:
Natürlich habe ich den Besen untersucht. Und Sina danach gefragt. Aber trotzdem: Der Besen ist das ungewöhnliche Element in der für den Spieler vertrauten Umgebung. Aber welche Rolle hat er im Spiel? Genau die, die ein stinknormaler Besen auch hätte: Er ist lang genug, um den Zettel unter dem Bett hervorzuholen. Punkt. Die Kommunikation mit der fremden Spielwelt erfolgt nicht mit dem Besen, auch nicht mit dem befremdlichen Zettel. Sie erfolgt - etwas unmotiviert - mit Taras Nase. Tanan:
Für mich nicht. Unter das Bett zu schauen ist wohl eine typische Handlung für jemanden, der einen Raum durchsucht. Und ich dachte, die besserwisserische Antwort des gefundenen Zettels wäre einfach nur ein Gag, genau wie man auf rhetorische Fragen antworten kann. Selbst, wenn man den Zettel geholt hat, ist er wenig geheimnisvoll. Werbung für eine Karriere als Wahrsager. Na und? Nichts Besonderes. (Außer, das die Zettel, die ich schon mal in meiner Wohnung finde, eher für Pizza-Dienste und PC-Schulungen sind.) Keine Randnotiz, keine hingekritzelte Telefonnummer. Nicht einmal ein eigenartiges Gefühl beim Untersuchen. Der Zettel ist einfach nur das X im Give-X-To-Y-Rätsel mit dem Wächter. Die Motivation des Spielers, ihn mitzunehmen, ist Null. Selbst, wenn der Spieler wüsste, was ihn beim Drücken der glühenden Hundenase erwartet, würde er doch kaum daran denken, diesen Zettel mitzunehmen. Außer natürlich aus der Motivation heraus, einfach alles mitzunehmen, schließlich ist das hier ein Adventure. "Habe ich alles für eine Reise in eine andere Welt? Warme Socken? Überlebensmesser? Schlafsack? Meinen Talisman? Hoppla, da war ja noch dieser Zettel, den ich unter dem Bett gefunden habe, für einen Wahrsagedienst oder so. Der ist bestimmt nützlich. So, da ist er. Tschüss, Sina, ich bin mal kurz weg." Plopp! (Natürlich ist der relativ unvorhersehbare Teleport ein Begründung dafür, dass sich der Spieler nicht auf diese Reise vorbereiten kann. Umso seltsamer ist es, dass die Reise nur funktioniert, wenn ich einen Werbezettel dabei habe.) |
Geschrieben um 15:54 am 14.10.2003 | Zitat | Editieren | Löschen | |
Mitglied Prof Gumby Beiträge: 404 | Zitat:
Zwei: Den Zettel unter dem Bett herausholen und dem Spieler klarmachen, daß hier etwas nicht stimmt. Überhaupt: Ausgerechnet der Besen, von dem nie jemand wußte, wo er herkam, hilft einem, den Zettel hervorzuholen. Und kann ja sein, daß Pizzaprospekte in deiner Wohnung versteckt liegen - in meiner auch. Aber auf keinem davon habe ich bisher gelesen, wo ich ihn finden würde: "Wir wussten, dass sie unter das Bett schauen!" Zitat:
Einen so komischen Zettel würde ich, wenn ich eh schon merke, es stimmt etwas nicht, auf jeden Fall erstmal festhalten. Und gerade das Rätsel mit dem Wärter hat mir gut gefallen. Es gewinnt keinen Originalitätspreis, aber es ist ein gelungener Witz. Den Spielfluß gehemmt hat es auch nicht, da ich die Lösung sofort wußte. Im Großen und Ganzen hast du recht: Man hätte dem Spieler in der ersten Szene mehr Handlungsmotivation verpassen können. Daß der Sprung schließlich über Taras Nase funktioniert, ist nur mäßig witzig - konsequenter wäre irgendwas mit dem Besen gewesen. Nur fällt das für mich eher in die Kategorie "Kleinigkeit". Natürlich muß man das in einer Kritik erwähnen. Es aber so in den Vordergrund zu stellen, wird dem Spiel nicht gerecht, finde ich. Ich habe haufenweise gute Ansätze gefunden, die mehr als nur Stückwerk waren - besonders in der zweiten Hälfte. Der Charakter des Wächters etwa (der Archetyp des dummen Wächters). Die Idee, wie das Wesen die Roboter manipulieren kann. Die vielen Andeutungen in Bezug auf die Welt, die man im zweiten Teil (den es hoffentlich geben wird) leicht noch ausbauen kann. Ist z.B. die Magie des Wesens eine ähnliche wie die des Besens? Und wer weiß, vielleicht erfahren wir ja im zweiten Teil, was Tara mit der Sache zu tun hat. |