Hallo,

ich lese gerade William Gibsons Neuromancer und Philip K. Dicks Blade Runner und bin deshalb auf der Suche nach Spielen im Geist dieser Bücher. Also eine eher (dystopische) Zukunftsvision + Gesellschaftskritik.

Eine kurze Suche ergab leider ausnahmslos Twine-Spiele, mit denen ich noch nie richtig warm geworden bin.

(Sowie das schonmal diskutierte "Cypher" http://forum.ifzentrale.de/viewtopic.php?t=1211&highlight=cypher )

Mittlerweile kein sehr populäres Thema mehr, ich weiß, aber falls jemand nen heißen Tip hat wäre ich echt dankbar

Den IF-spezifischen Begriff Cyberpunk führte meines Wissens Porpentine vor zwei, drei Jahren für einige inhaltliche und formal punkige Twine-Spiele ein ohne zu bedenken, dass er bereits ein inhaltlich völlig anders geartetes SciFi-Subgenre bezeichnet. Daher dürften entsprechende Recherchen vor allem zu Twine-Ergebnissen ohne SciFi-Relevanz führen (wobei es die auch gibt, vor allem von Anna Anthropy). Vielleicht mal "Speculative Fiction" oder ähnliche Umschreibungen versuchen, mir selbst fallen außer Solarium keine halbwegs passenden Titel dazu ein. Solarium ist zwar auch Twine, das würde ich aber SciFi-Cyberpunk zurechnen und auf keinen Fall dem üblichen Twine-Cyberpunk.

Ah, danke für den Hinweis, das erklärt meine Verwirrung. Und auch warum das unter "surreale Spiele" geführt wird.

Zum Glück führt die IFDB unter "Cyberpunk" auch einige nicht-Twine Spiele, die sich vielversprechender anhören. Zum Anspielen bin ich leider noch nicht gekommen.

Ein neuerer Kandidat wäre z.B. Emily Shorts Ultimate Quest http://ifdb.tads.org/viewgame?id=bug1i7zgatgrtwtp , aber das scheint an Twitter gekoppelt zu sein. Hat das schon jemand ausprobiert?

ausprobiert ja, aber das hat mich technisch nicht so wirklich angesprochen. Ansonsten sollte man an dieser Stelle noch folgende Spiele erwähnen:

-A Mind Forever Voyaging von Infocom, eine vom Spieler verkörperte künstliche Intelligenz bewegt sich in einer simulierten Zukunft

-Auch von Infocom: Suspended. Zumindest Cyberspace.

-Scheinbar thematisch mit Suspended verwandt, habe ich aber noch nicht gespielt: Bad Machine von Dan Shiovitz

Ansonsten fällt mir leider auch nix ein. Sehr schade, bin ebenfalls großer Fan sowohl von Philip K. Dick als auch William Gibson, und solche Settings wären m.E. in IF der Wahnsinn. Man stelle sich nur UBIK als Textadventure vor...

oder mal das Neuromancer-Grafikadventure von Interplay probieren, soll gut sein.

Robb Sherwins Kram, ist aber sehr speziell.

stadtgorilla:

-Scheinbar thematisch mit Suspended verwandt, habe ich aber noch nicht gespielt: Bad Machine von Dan Shiovitz

Das hat ein Kollege von mir sich mal genauer angeschaut und seinerzeit für gut befunden.

Zitat:

Ansonsten fällt mir leider auch nix ein. Sehr schade, bin ebenfalls großer Fan sowohl von Philip K. Dick als auch William Gibson, und solche Settings wären m.E. in IF der Wahnsinn. Man stelle sich nur UBIK als Textadventure vor...

Es ist immer die Frage, was man will. Hier scheint es sehr um Spiele mit SF-Settings zu gehen, weniger um das, was ich bspw. für die typischen Dick'schen Themen halte. Ich sehe gerade ihn überhaupt nicht als gesellschaftskritischen Autoren, wie im Eingangsbeitrag angedeutet. Für mich geht es da eigentlich immer um die in sich kollabierenden, vielschichtigen Realitäten und Identitätsfindung der Protagonisten, die aus ihrer bisherigen Realität gerissen werden. Und dazu gibt es im IF-Bereich eine ganze Menge – nur nicht notwendigerweise im SF-Gewand (was ja aber bei einem signifikanten Teil des Dick'schen Werkes auch nicht der Fall ist).

Das ist nun völlig Offtopic und völlig (völlig, völlig) subjektiv:

Gibson kenne ich kaum, Dick sehe ich insofern aber schon als "gesellschaftskritisch", als er die mögliche simulierte Welt in der heutigen beschreibt und dadurch einen Horror erreicht, der Lovecroft noch übertrifft. Orgelpunkt ist die meist in einer SciFi-Grenzzone angesiedelte Simulation von Realität, der Grundtenor in Matrix, Blade Runner, Total Recall usw. Dass er das aber seit den 60er Jahren tat, empfinde ich derart als programmatisch dass ich ihn schon als Prophet der medialen Gesellschaft betrachten würde und insofern mehr als "medienkritisch" betrachte weil es eben um gemutmaßte Cyber-Realitäten geht, die ohnehin schon durch den Entwicklungsstand der beschriebenen Gesellschaftssysteme medial verschmutzt sein müssen. Darüber gibt es mittlerweile massig Literatur bis hin zu "gesellschaftskritischen" Philosophen wie Gilles Deleuze oder Félix Guattari, egal nun was die für einen Unsinn verbreitet haben könnten: Die Prämisse ist immer die gesellschaftliche Daseinsstufe einer "simuierten Realität" im Kontrast zur "konkreten Realität" ich sage mal von Jägern und Sammlern der Steinzeit (das Ur-Fantasy-Drama im Kontrast dazu). Sie müssen Dick für mein Verständnis in der Milchflasche aufgesogen haben. Man könnte das schon als "dystopische Neoromantik" beschreiben, wenn es nicht so übel ausgehen würde, mit "Neoromantik" als "ach in der Steinzeit war doch alles besser" im Hinterkopf.

Aber zurück zum Begriff "Cyberpunk": da geht es um Dytopie, Pessimismus, Film noir, um miese Zukunftsentwürfe eben. Kaum ein IF-Stück geht heute daran vorbei, das Grundthema würde ich schon als abgelutscht bezeichnen und im Kontrast existieren im Prinzip nur Komödien, die letztlich lachend über ähnlich gemutmaßte Realitäten hinwegtänzeln. Dicks von mir verstandene Prämissen aus den 60ern sind in gewisser Weise zum Normalfall geworden. Das kann auf die Dauer langweilen, so wie heute eben auch Lovecroft-Themen wie phantasievolle Parallelwelten langweilen weil sie schon verbraucht sind. Faktum ist (für mich) einfach: Dick & Co. haben sich überlebt, weil sie medienkritisch (weniger gesellschaftskritisch) über die gelebte Realität herfallen und das mittlerweile schon hundertfach geprobt worden ist. Aber nicht ganz, weil eben diese Mediengesellschaft drauf abfährt. Da finde ich Twine-Cyberpunk schon fast besser: Der seziert, wie mit einer möglichen Realität hinter einer heutigen Realität hinter der gelebte realen Welt mit Mobiles und Blogs heute umgegangen werden kann: Form toppt Inhalt, Inhalt deutet an. Erstaunlich, dass ich sowas überhaupt äußern kann wo mir dieser Cyperpunk doch nun überhaupt nicht gefällt. Aber diese Diskussion ist ja nun auch nicht auf meinem Mist gewachsen, ich reagiere nur )

Ich geh jetzt zur Silvesterparty und wünsche in jeder Realität einen guten Rutsch!

Gesellschaftskritisch im weitesten Sinne finde ich ihn schon, wenngleich meist aus der subjektiven Sicht geschildert wird, und nie Kritik Selbstzweck ist.,Aber um Systeme geht's schon ach immer. Dass Dick sich überlebt hätte, finde ich überhaupt nicht, und dass seine Themen abgenudelt und zu Hauf in IF behandelt würden, wenn auch ohne SF, kann ich so nicht nachvollziehen. Sicher, Dystopie und Realitätsverlust gibt's schon, aber ja eher auf der rein subjektiven Ebene ohne Systemebene. Siehe Herr P. vielleicht. Aber wo sind die off world colonies oder der Stimmungswecker, oder Diktatoren, die in die Zukunft sehen können? Gerne Beispiele! Habe in letzter Zeit kaum Zeit für IF gehabt.

stadtgorilla:

Siehe Herr P. vielleicht.

Da gibt's sogar das explizite Zitat einer kompletten Szene eines Dick-Romans (was aber wohl nur ein einziger Spieler gemerkt hat).

stadtgorilla:

Aber wo sind die off world colonies oder der Stimmungswecker, oder Diktatoren, die in die Zukunft sehen können?

Ja, genau, die gibt's wenig. In jeder IF Comp gibt es ein oder zwei "Hard SF"-Stücke (2014 Tea Ceremony, 2013 Trapped in Time, 2012 Andromeda Apocalypse & Lunar Base 1, 2011 Andromeda Awakening & The Hours & Death of Schlig, 2010 Rogue of the Multiverse & The Chronicler, 2009 Rover's Day Out & The Duel that Spanned the Ages & Resonance & Grounded in Space & Star Hunter), aber das ist dann meist eher so Star-Trek-Niveau.

Im Umkehrschluss sind auch Spiele, in denen menschlich-gesellschaftlich-moralische Fragen mittels teils scheinbar zusammenhanglosen bizarr-surrealen Fantasieszenen reflektiert werden (etwas anderes ist ja Ubik letztlich auch nicht) sehr weit verbreitet: Snowquest, 12:54 to Asgard, Pen and Paint, The Life and Deaths of Dr. M., Sentencing Mr Lidell, Awake the Mighty Dread, Eurydice, Spiral, howling dogs, their angelical understanding, The House at the End of Rosewood Street, 9 Lives, Creatures Such As We, With Those We Love Alive, Krypteia und Raik waren in den gleichen Wettbewerben. Weitere sehr berühmte, naheliegende Beispiele sind De Baron oder Photopia. Nur die Kombination mit Hard-SF ist praktisch nicht existent.

Wohlgemerkt bitte ich das jetzt oben wie unten nicht als Empfehlungen zu verstehen. Die meisten der genannten Spiele halte ich für ziemliche Fehlschläge. Insbesondere die in der zweiten Gruppe haben es generell bei mir schwer, da ein solcher Versuch schnell ins Peinliche umschlägt – insbesondere durch unendlich triefenden Kitschfaktor.

Hannes:

stadtgorilla:

Siehe Herr P. vielleicht.

Da gibt's sogar das explizite Zitat einer kompletten Szene eines Dick-Romans (was aber wohl nur ein einziger Spieler gemerkt hat).

oh...dann muss ich wohl noch mal nachspielen!

Was Ubik betrifft: Zusammenhanglos! Pah! Da hat wohl einer zu viel Ubik versprüht! ;-)

Scheinbar zusammenhanglos

Hannes:

Scheinbar zusammenhanglos

ok, akzeptiert;-)